Sie sehen noch recht frisch aus. Ich habe mir überlegt, mit Ihnen so ein bisschen Touristen-Gymnastik zu machen, damit Sie aufwachen; das scheint aber nicht notwendig zu sein. Okay, fangen wir an.
(Zuruf SPD)
– Bitte?
(Zuruf SPD)
– Das wollte ich jetzt machen. Trotzdem vielen
Dank. – Das war noch nicht meine Rede.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf
den Zuschauerrängen!
Dort sitzen nicht mehr allzu viele. 60 % Wahlbeteiligung sprechen eine deutliche Sprache. Wir haben das von der RGB-Koalition schon oft genug gehört. Für mich zeigt das aber ein wenig, dass wir wahrscheinlich den Kontakt zum
Bürger verloren haben. Das ist ein Problem.
Torsten Albig hat uns eingeladen, mitzumachen, auch wenn wir nicht Teil der Koalition sind. Ich nehme diese Einladung sehr gern an. Daher möchte ich heute über folgende Themen sprechen, welche die Bürgerbeteiligung tangieren. Ein erstes Thema heißt „Open Data“. Bei dem zweiten Thema handelt es sich um die E-Petition. Das dritte Thema klingt so ein bisschen abgefahren: „Überwindung von Raum, Zeit und anderen Beschränkungen, die die Bürger von den Ausschüssen abhalten“.
Ich fange mit Open Data an. Ich möchte gern, dass der Bürger die Möglichkeit bekommt, so eine Art Kleine Anfrage von zu Hause aus zu stellen. Ich denke dabei an eine Frage wie die folgende: Wie hoch sind eigentlich die Heizkosten von Liegenschaften des Landes Schleswig-Holstein? Ich möchte, dass diese Anfrage möglich ist, ohne dass das Aufwand in der Verwaltung verursacht. Der Bürger soll das bei sich zu Hause machen. Wie kann das gehen? Das Land kann dem Bürger die Finanzrohdaten zur Verfügung stellen. Der Bürger kann dann mit diesen Daten arbeiten. Das Ganze nennt sich Open Data; denn der Bürger kann dann selber eine Auswertung vornehmen.
Ich nehme als Beispiel das Finanzministerium. Die Finanzministerin ist leider nicht anwesend. Schade!
– Alle Buchungen im Finanzministerium werden, wie mir gesagt wurde, in SAP durchgeführt. Das heißt, dass sie elektronisch vorliegen. Man kann sie also auch ins Internet stellen. Wir PIRATEN stehen total auf so etwas. Dabei muss man natürlich den Datenschutz beachten. Wenn darin personenbezogene Daten enthalten sind, muss man es ein wenig anonymisieren. Im Großen und Ganzen aber sollte das möglich sein.
Sie werden jetzt sagen: Ein Großteil der Bürger kann mit all diesen Finanzdaten nichts anfangen. Da haben Sie wahrscheinlich recht, aber das macht nichts. Es reicht, wenn ein kleiner Teil der Bürger mit diesen Finanzdaten etwas anfangen kann. Denn dieser Mensch ist möglicherweise in der Lage, diese Finanzdaten so zu visualisieren, dass andere Bürger – beispielsweise in einem Bürgerhaushalt – Einsparpotenziale in dem Haushalt finden können. Dadurch kann mehr Luft für sinnvolle Projekte geschaffen werden, oder es können schneller Schulden abgebaut werden.
(Beifall PIRATEN)
Es kann auch sein, dass diese Person das gleich alles in einem Rutsch macht und mit einem Sparvorschlag kommt, den noch niemand gesehen hat und bei dem man sagt: Das ist eigentlich eine ziemlich gute Idee. Wie gesagt, das Ganze nennt sich Open Data. Es steht im Koalitionsvertrag. Dafür vielen Dank. Ich finde das super.
Leider ist das nicht sehr konkret. Von daher würde ich mich freuen, wenn Sie – vielleicht mit uns zusammen – noch ein bisschen daran arbeiten würden. Wir sind ja zum Zusammenarbeiten eingeladen. Dann könnten wir es ein bisschen ausführen und voranbringen. Dann müssten wir nicht nach fünf Jahren sagen: Wir hatten es drin, aber irgendwie – –
Ich komme zu den Petitionen. Torsten Albig hat gesagt, dass er die Bürger überzeugen möchte, dass uns ihre Meinung wichtig ist. Im Koalitionsvertrag steht, dass Petitionen beziehungsweise Bürgerbegehren einfacher gemacht werden sollen. Es ist aber immer von „Papierpetitionen“ die Rede. Nie ist von einer Online-Petition die Rede.
Ein positives Beispiel für eine Online-Petition ist auf Bundesebene das Begehren, zu überprüfen, ob die Geschäftspraktiken der GEMA der Verfassung entsprechen. Sie hat 106.000 Mitzeichner. Ich finde es interessant, dass die Leute sich dafür interessieren. Auch die Petition gegen Internetsperren – da gibt 134.000 Mitzeichner – finde ich bemerkenswert. 186.000 Mitzeichner haben eine Petition gegen erhöhte Pflichtbeiträge von Hebammen unterzeichnet, die eine superteure Haftpflichtversicherung bezahlen müssen. Immerhin 105.000 davon haben das immerhin online gemacht.
Seit Neuestem bin ich der Vorsitzende des Petitionsausschusses. Deswegen ist mir dieses Thema auch eine Herzensangelegenheit. Ich möchte gern, dass wir das voranbringen. Wenn man sich unser Petitionsportal anschaut, sieht man, dass man eine Petition online einreichen kann. Das ist schon einmal gut. Man kann aber nicht online mitzeichnen. Vor allem Einzelschicksale können im Petitionsausschuss zur Sprache gebracht werden. Ich kann das aber nicht mit so heißen Eisen, wie es der Weiterbau der A 20 ist.
Ich möchte gern, dass man online in der Lage ist, eine Petition einzureichen. Es muss nachvollziehbar sein, wo diese Petition gerade steht, damit man sie auch mitzeichnen kann. Außerdem sollte die Beratung über eine Petition öffentlich sein, wenn der Petent dem zustimmt.
(Beifall PIRATEN)
Ich komme zu meinem letzten Anliegen. Wir machen das jetzt hier gerade schon live. Diese Ausschusssitzung hier – – Nein, das ist keine Ausschusssitzung. Diese Veranstaltung wird ins Internet übertragen. Es gibt ein Live-Streaming. Darüber möchte ich gern reden. Es geht um die Überwindung von Raum, Zeit und Aufwand. Es gibt drei Hemmnisse für die Bürger, sich an der Politik hier zu beteiligen. Wie Sie sicherlich wissen, findet ein großer Teil der Arbeit in den Ausschüssen statt.
Diese ist eine 1-a-Schaukampfbude, die viele Leute hier gern nutzen, aber ich würde den Bürgern gern auch die Ausschüsse näherbringen, in denen die eigentliche Arbeit stattfindet. Stellen wir uns mal vor: Ein Bürger aus Leck, der gern mal sehen will, was in so einem Ausschuss stattfindet.
Wenn er mit dem ÖPNV nach Kiel zum Landtag fahren möchte – ich habe einmal nachgesehen -, benötigt er – das sind die schnellsten Verbindungen – zwei Stunden und 45 Minuten. Das heißt noch nicht, dass er dann zum richtigen Zeitpunkt hier ist. Er muss noch warten.
Mit einer längeren Verbindung dauert es bis zu vier Stunden. Das ist schon extrem. Mit dem Auto brauche ich immer noch gut 1,5 Stunden von Leck nach Kiel – je nach Fahrstil; das geht bestimmt auch schneller.
Der Punkt ist: Ich muss Fahrzeit hin und Fahrzeit zurück investieren, und ich muss Kosten für den Transport investieren. Das ist ein erhebliches Hemmnis, wenn ich einfach einmal in die Ausschussarbeit reinschauen möchte. Das ist schon eine richtige Reise.
Außerdem: die Zeit. Ausschusssitzungen finden üblicherweise zu Zeiten statt, wo normale Leute arbeiten. Da das hier ein Vollzeitparlament ist, ist das okay, denn wir arbeiten quasi gerade, aber der Bürger muss auch zu den Zeiten arbeiten. Das heißt, er kann nicht kommen, wenn er Arbeit hat.
(Beifall PIRATEN)
Nächstes Problem: die Freizeit.
– Herr Harms, würden Sie bitte zuhören? – Danke. –
Nicht jeder Bürger hat so viel Freizeit, dass er sich die Zeit einer langen Ausschusssitzung um die Ohren schlagen kann. Ich habe heute hier die Reden gehört: Ja, das hätte man hier und da etwas kürzer fassen können.
– Danke.
Es wäre nicht schlecht, wenn man diese Zeit ein bisschen komprimieren könnte, damit es nicht so lange dauert herauszubekommen, was in den Ausschusssitzungen gelaufen ist. Ziel muss also sein, die Ausschüsse unabhängig von Ort und Zeit zu machen und den Aufwand für die Bürgerinnen und Bürger, sich zu beteiligen, zu senken.
Die Lösung – das klingt jetzt total einfach; das ist ein sehr piratiger Vorschlag -: Wir verlagern den 88 Schleswig-Holsteinischer Landtag Ort ins Internet. Wir übertragen die Ausschüsse live, zumindest die öffentlichen Ausschüsse, die geheim tagenden Ausschüsse natürlich nicht. Damit können sich die Leute auch in Leck die Ausschüsse angucken, ohne dass sie sich dazu vom Hocker bewegen müssen. Das ist schon einmal nicht schlecht.
Was ist mit den Leuten in Leck, die arbeiten müssen, wenn hier unsere Ausschüsse tagen? – Für die können wir Aufzeichnungen im Internet bereitstellen. Sie können sich das dann nach der Arbeit anhören.
Jetzt haben wir noch das Problem mit den Leuten, die abends nur eine Stunde Zeit haben, weil sie zwei Jobs, Familie und so weiter, also nicht so viel Freizeit haben. Für diese Leute hätte ich gern so etwas wie ein Wortprotokoll. Das muss jetzt nicht ein stenografisches Wortprotokoll sein, das kann zum Beispiel auch durch eine Texterkennungssoftware passieren oder sonst irgendetwas, damit man einfach in der Lage ist, das gesamt Protokoll und den gesamten Ausschuss einmal nach bestimmten Schlagworten zu durchsuchen und zu gucken, wann eigentlich der Kram drankam, der mich interessiert hat, und sich nicht die anderen zehn Teile auch mit anhören muss.
So, das war der Teil mit dem Streaming. Vielen Dank. Ich hoffe, ich konnte Ihnen meine Themen näherbringen. Das waren Open Data, die E-Petition und das Überwinden von Raum, Zeit und Aufwand.
(Beifall Piraten und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsidentin Marlies Fritzen:
Vielen Dank, Herr Kollege. Wir haben heute schon eine Menge über den neuen Umgang und die politische Kultur miteinander gesprochen. Wir haben auch vernommen, dass Sie uns gern ein paar neue Dinge zum Lernen aufgeben wollen. Deshalb will ich Ihnen von mir aus noch einmal die Information geben: Diese „Veranstaltung“ hier ist die Landtagstagung über die Regierungserklärung zu Beginn der 18. Wahlperiode. Diese „Schaukampfbühne“ – ich möchte Sie bitten, mir ernsthaft zuzuhören -, wie Sie es hier gerade genannt haben, ist das Plenum
des Schleswig-Holsteinischen Landtages. In der Frühzeit der parlamentarischen Demokratie haben manche Leute auch von einem „Hohen Haus“ gesprochen. Ich möchte Sie bitten, diesem auch mit entsprechender Wortwahl Respekt zu zollen.
– Vielen Dank.
(Vereinzelter Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)
Siehe auch: Plenarprotokoll 18/3 13.06.2012 S 17-92