Als am 18. September bekannt wurde, dass VW Abgasmessungen manipuliert hat, nahm ein Skandal für VW seinen Lauf, der seines Gleichen sucht. VW ist wahrscheinlich nur die Spitze des Eisberges. Es wäre sehr überraschend, wenn nicht auch viele andere Automobilhersteller ähnliche Tricks nutzen würden, um ihre Abgaswerte zu verbessern. Elon Musk von Tesla Motors bringt es treffend auf den Punkt: „Wir haben die physikalischen Limits erreicht, es ist kaum noch Raum für Verbesserungen. Die VW-Ingenieure dürften unter massivem Druck gestanden haben und sind an die Grenze von dem gestoßen, was möglich ist. Tricksen war wohl die einzige Option“.
Die Autoindustrie muss jetzt Vertrauen zurückgewinnen. Lippenbekenntnisse reichen da nicht. Es muss nachvollziehbar sein, dass sich etwas geändert hat. Aktuell plant VW eine Rückrufaktion, bei der die Software, die die Abgasmessung manipuliert hat entfernt werden soll. Wie ein Auto, dass nur mit Manipulationen die Abgasmessung bestanden hat, diese plötzlich nur mit einer neuen Software bestehen soll, bleibt der Fantasie der VW-Ingenieure überlassen. Mir fehlt das Vertrauen, dass VW bei Softwareupdates nicht einfach neue Optimierungen für andere Prüfverfahren einpflegt. Auch liegt der Verdacht nahe, dass die Autos nach einem solchen Softwareupdate zur dauerhaften Einhaltung der NOx-Abgaswerte nicht mehr die beim Verkauf versprochene Leistung liefern. Entweder
- sinkt die Motorleistung,
- steigt der Treibstoffverbrauch oder
- die Wartungsintervalle werden deutlich kürzer,
weil das Auto mehr Harnstoff(Adblue) aus einem versteckten Tank einspritzt, der bei der Wartung von der Werkstatt wieder aufgefüllt wird. In jedem dieser Fälle verschlechtert sich die Leistung aus Sicht des Kunden. Es muss also transparent nachvollziehbar sein, was im Auto passiert.
Die Lösung für dieses Problem ist simpel:
OpenSource
Die EU sollte in Zukunft vorschreiben, dass Autohersteller die Quellcodes der Autos offen legen müssen. Dies könnte Teil der nächsten Abgasnorm werden und sowohl Software als auch Firmware umfassen. Alle jemals ausgerollten Versionen müssten der Öffentlichkeit dauerhaft zur Verfügung gestellt werden. Nur so kann nachvollzogen werden, was ein Auto in welchem Zustand eigentlich macht. Es kann überprüft werden, ob es sich auf dem Rollstand anders verhält als auf der Straße (das tut es, weil sonst das ESP verrückt spielt). Und es kann überprüft werden, ob dieses geänderte Verhalten Manipulation ist oder Notwendigkeit ist, damit eine Messung auf dem Rollstand überhaupt möglich wird.
Die Quellcodes müssen so offengelegt werden, sodass jedermann diese überprüfen kann. Für diese Überprüfung ist es notwendig, dass die Quellcodes
- einfach kompilierbar (übersetzbar in Maschinencode),
- in das jeweilige Auto einspielbar und
- auch wieder auslesbar sein müssen.
Nur so kann überprüft werden, ob die offengelegten Quellcodes auch mit denen vom Autohersteller eingespielten übereinstimmen.
Ein angenehmer Nebeneffekt wäre, dass der Verbraucher endlich in die Lage versetzt wird Software Fehler, für die der Hersteller keinen Patch mehr anbietet, beheben zu lassen. Gerade bei älteren Autos lässt der Support der Hersteller merklich nach.
Es geht hier nicht darum, dass jeder Autobesitzer selbst an seinen Steuergeräten herum codiert, sondern darum, dass Drittanbieter dies tun und eigene Updates anbieten. Diese findet man schon unter dem Stichwort „Chiptuning“. Jedoch stochern viele von diesen Anbietern im Nebel und müssen mit Reverse-Engeneering Techniken die Funktionen aus den Steuergeräten heraus kitzeln. Dabei beschränken diese sich auf einzelne Funktionen. Sie kratzen allerhöchstens an der Spitze des Eisberges, der Möglichkeiten, die sich durch Erweiterungen der Software ergeben. Ein gutes Beispiel wohin hier die Reise gehen kann, sind die „Custom ROMs“ für Smartphones. Bei diesen handelt es sich um ein alternatives Betriebssystem, auf Basis der Quellcodes des Herstellers. Sie erweitern die Möglichkeiten der jeweiligen Gerätes deutlich. So wäre es z.B. vorstellbar, dass ein ein Auto mit einem Custom-ROM dem Fahrer auf dem Bordcomputer präzise Fehlermeldungen ausgibt, anstatt eines allgemeinen Fehlers und des Hinweises die nächste Werkstatt aufzusuchen.
Autonomes Fahren für Oldies
Denken wir ein paar Jahre weiter, Stichwort autonomes Fahren. In spätestens 10 Jahren wird es die ersten serienreifen Autos geben, die zumindest bestimmte Strecken autonom fahren können. Viele Autos werden dann schnell zum alten Eisen gehören, obwohl sie technisch noch einwandfrei funktionieren. So sollte es möglich sein, die Algorithmen für eine autonome Autobahnfahrt auf ein älteres Auto zu übertragen, das bereits über einen Spurhalte- und Abstandsassistenten verfügt. Diese Systeme lassen sich z. B. bei einem neuen VW-Polo heute schon mitbestellen. Es ist nicht einzusehen, warum gleich das ganze Auto entsorgt werden muss, nur weil der Hersteller keine Softwareupdates anbietet. Eine ähnliche Fehlentwicklung lässt sich seit Jahren bei den Smartphones beobachten. Wir erzeugen vollkommen unnötig Berge von Schrott.
Etwa ab dem Jahr 2000 wurden von den Autoherstellern immer mehr Computer in die Autos eingebaut. Es ist zweifelhaft, ob es aus dieser Zeit mal Oldtimer-Fahrzeuge geben wird. Denn es ist unmöglich, ohne neue Steuergeräte vom Hersteller oder Softwareupdates der alten Steuergeräte diese Wagen funktionstüchtig für die Nachwelt zu bewahren.
Ein schlechtes Beispiel liefert hier die Firma John Deere. Sie hat versucht den Zugriff auf die Software ihrer Traktoren erst technisch zu verhindern. Als Landwirte diese bei dem von Ihnen gekauften Traktor überwanden und die Software des Traktors modifizierten wurden sie von John Deere wegen Copyright Verletzungen verklagt. Dies ist einfach nur eine Frechheit. Wer ein Fahrzeug erwirbt, dass nur mit der Software auf den Bordcomputern laufenden Software funktioniert muss automatisch die Lizenz erhalten diese Software zu nutzen und auch zu modifizieren. Wenn dies nicht möglich ist, sollte der Hersteller so ehrlich sein, und seine Fahrzeuge nicht mehr verkaufen sondern nur mit einem Wartungsvertrag vermieten.
Industriegeheimnisse
Ein häufiges Argument gegen OpenSource ist der Schutz von Industriegeheimnissen. Das Problem ist, dass die Industrie diese Geheimniskrämerei deutlich übertrieben hat. Sie ging soweit, dass nicht mal die Cheffetagen von den Abgas-Manipulationen wussten. Man gewinnt zunehmend den Eindruck, dass VW ähnlich wie NSA oder BND nach dem „Need to know“ Prinzip arbeiten. Jeder erfährt nur, was er wissen muss. Und wenn der Manager nicht weiß, dass die Abgasmessungen manipuliert werden, kann er mit reinem Gewissen den Politikern erzählen, dass sein Konzern sich an die Regeln hält. Auch in der Industrie brauchen wir Transparenz. Das Öffnen der Softwarequellen ist hier ein gute Schritt in die Richtige Richtung.
Wichtig ist, dass alle Hersteller zugleich diesen Schritt gehen müssen. So hat keiner den Nachteil, dass die Konkurrenz leicht in den Code gucken kann, man selbst aber nicht zurück gucken kann. Mit der Veröffentlichung der Quellcodes wird der Innovationsdruck auf die Hersteller noch einmal deutlich steigen. Das muss nicht schlecht sein. Es wird frischen Wind in die angestaubte Automobilbranche bringen und neue Geschäftsmodelle für kleine und Mittelständische Unternehmen bieten.
Fazit
Das Vertrauen in die Autohersteller ist auf einem Tiefpunkt. Wenn die Automobilindustrie Vertrauen wiederherstellen will, kann die Offenlegung der Auto-Software ein Schritt auf diesem Weg sein. Für die Kunden wäre dies in jedem Fall ein Mehrwert, weil sie Softwareprobleme endlich beheben könnten. Dies ist ohne die Quellcodes oder das Wohlwollen des Herstellers nicht möglich. Autos wären länger mehr wert und müssten nicht so schnell entsorgt werden. Aufsichtsbehörden könnten nachvollziehen, was in einem Auto passiert und ob es sich beim Test anders verhält als auf der Straße.